Stellungnahme des Vorsitzenden Dieter Brückner
Veitshöchheim, 29.04.2020
Stellungnahme des Vorsitzenden der Bundesdirektorenkonferenz Gymnasien zur Verlautbarung der KMK vom 28. April 2020
Außer Plattitüden kann oder will die KMK zur Frage, wie denn Schule in Zeiten von Corona bis zu den Sommerferien und danach funktionieren soll, offensichtlich nichts sagen. Die Botschaft, dass unsere Schülerinnen und Schüler bis zu den Sommerferien irgendwann, in irgendeiner Art und Weise und für irgendeinen Zeitraum wieder einmal - und dann selbstverständlich in jedem Bundesland höchst individuell - in ihre Schulen kommen sollen, zeigt in geradezu naiv anmutender Weise, dass sie nicht nur ‚auf Sicht‘ fährt, sondern mit der langen Stange im Nebel stochert.
Bildung braucht aber Verlässlichkeit. Aufgabe der KMK ist es es nach deren Selbstverständnis, „Verantwortung für das Staatsganze“ wahrzunehmen und für „Gemeinsamkeit in Bildung, Wissenschaft und Kultur“ zu sorgen. Daher wäre es doch das Mindeste, was die Schulfamilie von einer solchen Konferenz erwarten könnte, dass sie klare Vorstellungen darüber entwickelt, wohin denn die Reise gehen könnte, und diese kommuniziert. Wer garantiert, dass nach den Sommerferien ein – gar geregelter – Unterrichtsbetrieb möglich sein wird? Und falls nicht? Meint die KMK, dass es dann genügt, den Schulen und der Öffentlichkeit erneut zu verkünden, dass unsere Schülerinnen und Schüler (dann vielleicht bis zu den Herbst- oder gar Weihnachtsferien) irgendwann, in irgendeiner Art und Weise und für irgendeinen Zeitraum wieder einmal - und dann selbstverständlich in jedem Bundesland höchst individuell - in ihre Schulen kommen sollen?
Schulfamilie und Gesellschaft haben einen Anspruch darauf, dass die KMK konkrete Szenarien entwickelt und darstellt, was unter welchen Voraussetzungen realistischerweise wünsch- und machbar ist.
Eines müsste unterdessen jedem für Bildung und Schule Verantwortlichen klar sein: Das Schuljahr 2019/2020 wird bei unseren Schülerinnen und Schülern tiefe und nachhaltige Spuren hinterlassen.
- „Lernen zuhause!“ kann Kinder und Jugendliche, selbst wenn es optimal gelingt, allenfalls „auf Betriebstemperatur“ halten. Und wenn es funktioniert, so ist das kein Verdienst der Kultusbehörden und schon gar nicht der KMK, die das Thema Digitalisierung viel zu lang verschlafen haben, sondern das Verdienst der Schulen und ihrer Lehrkräfte, die die immense neue Aufgabe überwiegend aus ‚Bordmitteln‘ gestemmt haben.
- Die Schere zwischen Schülerinnen und Schülern, die die Schule mühelos absolvieren, und denen, die Hilfe und Unterstützung brauchen – von menschlicher Wärme und direkter Zuwendung ganz zu schweigen – hat sich bereits bedenklich geöffnet und sie wird noch weiter aufgehen.
- Vor schwächeren Schülerinnen und Schülern türmen sich die Probleme schon jetzt berghoch auf. Die Erfahrung zeigt: Vor allem in Kernfächern wie Mathematik, den Fremdsprachen und in den Naturwissenschaften wird dies für die kommenden Jahre eine schwere Hypothek sein, die die Kinder und Jugendlichen nicht zu verantworten, aber zu verarbeiten haben.
Warum nicht auch in Bezug auf die (Schul-)Bildung, die in wohlfeilen Sonntagsreden als unser „wichtigster Rohstoff“ bezeichnet wird?
Was Schulen brauchen werden, ist vor allem Zeit. Denn: Sie haben schon unentbehrliche Lehr- und Lernzeit verloren. Was Kinder und Jugendliche durch die lange Dauer der Schulschließungen versäumen, lässt sich nicht so nebenbei nachholen. Durch die jetzt schon angekündigten Kürzungen der Lehrpläne würde dieses Nachholen zudem teuer erkauft: Kürzungen reißen, wie die Erfahrung lehrt, eher neue Lücken, als verläss- lich dazu beitragen, alte Lücken zu schließen. Und auch jedes denkbare Modell eines künftigen „Schicht- Unterrichts“ und eines Wechsels von Lernen zuhause und Lernen in der Schule wird zusätzlich Zeit kosten.
Die Bildungspolitiker der Länder und die KMK sind jetzt aufgefordert, ihre Hausaufgaben zu machen und den Schulen die Frage zu beantworten, ob sie die zum Lehren und Lernen erforderliche Zeit bekommen und wie das organisiert werden soll. Wäre es z. B. denkbar, dass die Schuljahre für einen Übergangszeitraum auch einmal länger dauern als bislang zwölf Monate? Wäre es nicht besser, für den Lernstoff mehr Zeit (vielleicht sogar ein zusätzliches Schuljahr?) zur Verfügung zu stellen, statt ihn zu kürzen?
Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnlich Lösungen. Im Bereich der Wirtschaft und Gesellschaft haben wir zur Bewältigung der Herausforderungen, vor die uns COVID-19 stellt, neue, teils einschneidende Kurs- und Verhaltensänderungen erlebt. Warum nicht auch in Bezug auf unsere Schulen und vor allem zu Gunsten unser Kinder und Jugendlichen, die wir so gern als unsere Zukunft bezeichnen? In der Wirtschaft lassen wir uns die Kurzarbeit mit Recht viele Millionen kosten, um die Probleme abzufedern. Was ist uns die – längere? - Lehr- und Lernzeit für unsere Kinder wert?
Dieter Brückner Bundesvorsitzender
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